Dein JahreswechseL

Viele Menschen feiern diese Tage den Jahreswechsel. Es war erneut ein Jahr mit zahlreichen Herausforderungen, dennoch sehen viele 2022 mit Hoffnung entgegen. Für die Menschen, die derzeit an der Grenze zwischen Polen und Belarus festsitzen, ist die Situation eine andere. Tausende harren seit Monaten in eisiger Kälte im Wald aus. Die Situation ist ernst. Wie sähe dein Jahreswechsel an der polnisch-belorussischen Grenze aus?

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Es ist Winter geworden, die Temperaturen sind in den letzten Wochen weiter gefallen und der erste Schnee ist gekommen. Während Menschen in Europa den Jahreswechsel feiern, sitzt du mit vielen anderen Menschen im Wald an der Grenze zwischen Polen und Belarus fest. Es ist nass und bitterkalt, der Wind pfeift in deinen Ohren. 

Vor ein paar Monaten hast du gehört, dass du über diesen Weg nach Europa kommen und so dem Bürgerkrieg entfliehen kannst. Du weißt von anderen aus deiner Heimat, dass du in Europa das Recht auf einen Asylantrag hast. Hier gelten Menschenrechte – hast du gehört. Dein bester Freund aus der Schule ist vor einigen Jahren nach Deutschland gegangen und unterstützt von dort seine Familie, manchmal schickte er auch dir Geld, wenn es eine Möglichkeit dazu gab. 

Aus einem Zelt und einem Schlafsack hast du dir ein notdürftiges Lager gebaut. Beide sind völlig durchnässt und vom Schlamm dreckig. Nachts klappern deine Zähne so laut, dass du nicht schlafen kannst. Du verstehst nicht, wie du hier landen konntest. Du kannst nicht vor oder zurück. Vor dir warten polnische, hinter dir belarussische Grenzbeamte.

Vor ein paar Wochen hast du nachts Schüsse gehört. Anscheinend haben mehrere Menschen versucht, den Grenzzaun zu überwinden. Auch du hast dich schon mehrmals auf den Weg gemacht. Einmal warst du schon in Polen, trotzdem haben die Beamten dich wieder zurückgedrängtDu weißt sie dürfen das nicht, aber es unternimmt keiner etwas. Du hast Angst, es noch einmal zu versuchen. Was ist, wenn sie dich wieder schlagen oder dir dein Telefon wegnehmen. Es ist deine einzige Verbindung zur Außenwelt. Du vermisst deine Familie und deine Freunde. Du weißt nicht, wie lange du es noch in dieser Situation aushalten wirst. 

Du fragst dich, wie es im neuen Jahr weiter gehen soll und hast keine Antwort. Immer wieder hast du Gerüchte gehört, dass Hilfe unterwegs sei und dass sogar ein paar Menschen in Europa aufgenommen werden sollen. Doch nichts ist bei dir angekommen. Die einzigen, die dir helfen, sind ein paar Menschen aus der Gegend, die dir manchmal Essen oder Decken bringen. 

Du dachtest Europa wäre anders. Du bist dir sicher, eigentlich dürfen sie dich nicht schlagen und hier erfrieren lassen. Eigentlich hast du doch Rechte. Weil du ein Mensch bist. Für das neue Jahr hast du vor allem einen Wunsch: Einen warmen, sicheren Ort zu finden und mit deiner Familie zusammen zu sein.

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Mehrere Tausend Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak harren seit mehreren Monaten bei bis zu -10 Grad an der Grenze aus. Zahlreiche Menschen sind bereits erfroren. Humanitäre Hilfe kommt nur sehr zögerlich an und wird von der polnischen Regierung behindert. Auch Deutschland hat bisher keine Verantwortung übernommen.

Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze und an anderen EU-Grenzen war auch in diesem Jahr nicht hinnehmbar. Lasst uns dafür sorgen, dass sich dies 2022 endlich ändert. Schaut nicht weg. Macht andere darauf aufmerksam und sprecht mit eurem Umfeld. Übt Druck auf die Politik aus. Spendet Geld, Zeit, Energie und Kleidung. Gemeinsam können wir uns für mehr Menschenrechte in Europa einsetzen.


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2 responses to “Dein JahreswechseL”

  1. […] keine angemessene Unterbringung zur Verfügung gestellt – und das nicht nur außerhalb von Europa. Ob im Wald zwischen Polen und Belarus oder an der Grenze in Kroatien. An zahlreichen europäischen Außengrenzen harren Menschen trotz […]

  2. […] Die Lage und die Menschen vor Ort brauchen nach wie vor Aufmerksamkeit. Auch die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze ist beruhigend. Sie zeigt, dass wir aus den Krisen der vergangenen Jahre nichts gelernt haben und […]

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