Es sind Tausende von Menschen, die alleine in der Region um Izmir abgeschieden in der Wildnis leben – Tag und Nacht, im Sommer und Winter. Bei jedem Wetter. Zum Glück ist der Winter in diesem Jahr, wie eigentlich üblich, recht mild. Besonders 2016 kämpften die Menschen hier jedoch mit Zentimeter hohem Schnee. Sie leben auf den Ackerflächen der hiesigen Großbauern, arbeiten dort für zwei Euro am Tag (wenn es Arbeit gibt). Pro Familienmitglied. Und zahlen bis zu 80 Euro pro Monat, um dort ihre Unterkünfte aufzustellen.
An unserem zweiten Tag in der Türkei haben wir das Team, bestehend aus vier Freiwilligen der Kölner Refugees Foundation und einem unserer Mitglieder, wie geplant aufgeteilt. Durch die stärken Regenfälle war unmöglich, im Dorf weiterzuarbeiten, weshalb der eine Teil im Lager von Balkan Route Stuttgart und Imece Spenden sortiert hat. Das zweite Team hat sich mithilfe einer Kontaktperson auf den Weg in die Camps auf den Landwirtschaftsflächen gemacht. Da eine Ärztin mit dabei ist, war es möglich, vor allem die Kinder mit dem Nötigsten zu versorgen. Durch die milden Temperaturen, die immer wiederkehrenden Regenfälle, das Leben im Schlamm und die allgemein schwierige Situation sind vor allem sie erkrankt. Oft handelt es sich nur um kleinere Erkältungen, teilweise aber auch um ernstzunehmende Probleme.
Am dritten Tag sind wir nun in voller Besetzung nach Torbali in ein weiteres Camp gefahren. In verlassenen, eigentlich baufälligen Häusern und ebenfalls selbst errichteten Hütten haben hier mehrere Hundert Menschen ihre neue Bleibe gefunden. Auch hier leben die Menschen unter sehr schweren Bedingungen. Die Kinder sind unterernährt, reagieren teilweise kaum noch auf die Umgebung. Während wir zumindest die Erkältungen behandeln können, reicht das vorhandene Material schlicht nicht aus – oder ist ohne Rezept nicht zu bekommen.
Gerade bei den gravierenden Fällen berichten uns die Familien immer wieder, dass sie bereits (mehrfach) im Krankenhaus gewesen sind. Denn theoretisch ist ihnen die Gesundheitsfürsorge garantiert, in der Praxis werden sie jedoch häufig abgewiesen. Wer das Verfahren nicht mit anderen Mitteln beschleunigen kann, erhält oft monatelange Wartezeiten. Für abermalige Besuche reicht zudem das Geld für die Anreise nicht immer aus. Ein Dialyse-Patient wiederum berichtete, dass er für die Medikamente dort selbst aufkommen muss – und deshalb nicht regelmäßig zu einer Station gehen kann.
Doch in diesen Camps eine bessere Infrastruktur aufzubauen, ist nahezu unmöglich. Die türkischen Behörden dulden die aktuellen Zustände, wollen jedoch keine Aufmerksamkeit auf diese. In einem der Camps wurden wir deshalb explizit darum gebeten, keine Aufnahmen zu veröffentlichen, in denen der Ort erkennbar ist. Erst kürzlich kam nach einem Fernsehbericht die Polizei, um einige der Bewohner des Gebiets zu verweisen und innerhalb des Landes umzuverteilen. Deswegen beschränkt sich die Unterstützung hier auf Untersuchungen und Ausgaben, um die Menschen wenigstens finanziell zu entlasten. Aus diesem Grund hat die Refugees Foundation kurzfristig 80 Mal 5 Liter Öl besorgt, um eine Vorratsflasche an jede Familie zu verteilen.
Es ist nicht in Worte zu fassen, wie es sich anfühlt, diesen Menschen zu begegnen. Sie arbeiten für einen Hungerlohn, um ihrem “Arbeitgeber” die Miete zu bezahlen. Der Rest reicht in vielen Fällen noch nicht einmal für das Nötigste. Inklusive der Versorgung der eigenen Kinder. Uns wurde gesagt, dass die meisten der Menschen hier bereits in Syrien zur Unterschicht gehört haben. Für viele reicht schlichtweg das Geld nicht aus, um in der Türkei eine bessere Situation zu erreichen. Ihre Heimat haben sie nicht mehr, die Perspektive auf eine neue existiert nicht. Es gibt nichts, worauf sie aufbauen können.
Leave a Reply