Die Winterfeiertage stehen vor der Tür und viele von uns freuen sich auf ein gemütliches Beisammensein mit ihren Familien. Diese Zeit wollen wir alle am liebsten möglichst friedlich gestalten. Wäre da nur nicht diese eine Person im familiären Umfeld…
…dieser Onkel, der sich dauernd sexistisch äußert; die Cousine, die auf ihr „Recht“ besteht, rassistische Sprache zu verwenden; ein queer- und islamfeindlicher Schwager, der denkt sein Weltbild sollte über alle bestimmen. Was also tun, wenn euch bei einer Äußerung die Knödel mitsamt Rotkohl wieder hochkommen?
In unserer Gesellschaft gibt es viele Menschen, die unter verschiedenen Formen von Diskriminierung leiden. Es gibt aber auch Menschen, die davon profitieren: Des einen Diskriminierung ist des anderen Privileg. Diskriminierung ist ein Teil von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, gegen die wir uns einsetzten müssen – insbesondere dann, wenn wir selbst nicht direkt betroffen sind.
Auch beim Diskurs in der Familie gilt: Sprache schafft Realität. Durch solche Aussagen werden diskriminierende Denkmuster nicht nur reproduziert, sondern auch weiterverbreitet und gefestigt. Und das hat reale Konsequenzen. Es ist unser aller Realität, also habt ihr das Recht und die Pflicht, diskriminierende Sprache, Haltungen und Äußerungen zu benennen und euch dafür einzusetzen, dass sie weniger werden. Aber wie, wenn ihr gleichzeitig den Familienfrieden nicht gefährden wollt?
Das Konzept der Gegenrede: Strategisch gegen diskriminierende Sprache
Ein Konzept, das euch helfen kann, ist die strategische Gegenrede. Ihr Ziel ist es, humanistische und demokratische Ideale aufrechtzuerhalten. Dazu könnt ihr in eurer Reaktion zwei Ebenen unterscheiden:
- Die Reaktive – Der als diskriminierend wahrgenommenen Haltung widersprechen
- Die Proaktive – Die eigene Sichtweise verdeutlichen, um nicht nur Widerspruch, sondern auch Diskurs zu erzeugen
Um Menschen zu erreichen, aber auch um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es zum Streit kommt, hilft möglicherweise folgendes:
Finde eine eigene Haltung zum Gesagten und drücke sie klar aus. Dabei hilft es, die eigene Position durch Herleitungen und gute Erklärungen stark zu machen. Wenn euch nicht sofort die passende Antwort einfällt, äußert erstmal einen Widerspruch zum Gesagten und fordert dann Zeit ein, um über eure eigene Sichtweise nachzudenken.
Eigene Argumente finden
Ein gutes Argument ist eine Behauptung, die mit einer nachvollziehbaren Erklärung gestützt wird. Die Erklärung muss dabei wahr bzw. belegbar und relevant sein. Menschen schenken logischen Erklärungen besonders viel Beachtung, es kann deshalb hilfreich sein, wiederholte „Warum-ist-das-so-Fragen“ zu stellen und sich so einer Antwort anzunähern. Was auch hilft sind konkrete Beispiele und die Einordnung eurer Argumente in eine relevante größere Debatte, die mit Diskriminierung im Zusammenhang steht (Rechtsradikalismus, Gewalt gegen Frauen und queere Menschen, etc.).
Nachfragen
Warum verwendet die Person einen bestimmten Begriff? Woher stammt diese Information? Die Wenigsten haben darauf eine konkrete Antwort und können Faktenwissen benennen.
Der Ton macht die Musik
Hass sollte nicht mit Hass bekämpft werden, diskriminierende Sprache nicht mit beleidigender Gegenrede. Sei hart in der Sache, aber weich zur Person. In einer Demokratie sollten alle Personen als Menschen respektiert werden – im familiären Kontext ist dies umso wichtiger. Entscheidend ist daher auch die eigene Sprache. Wenn ihr die Rhetorik und sprachlichen Bilder eures Gegenübers übernehmt, reproduziert ihr sie ungewollt. Eine eigene Sprache (die beispielsweise schon alternative Begriffe enthält) drückt proaktiv aus, was ihr meint und stärkt eure Position.
Das Wichtigste: Sagt was! Sei es auch erstmal „nur“ ein Widerspruch
Leider kommt es häufig vor, dass der Widerspruch erst einmal nicht zu fruchten scheint und sich die Person im Laufe eurer Diskussion selbst zum Opfer macht. Seid euch bewusst, dass dies ein durchaus bekanntes Phänomen ist. „White Tears“ ist ein Versuch strukturell privilegierter Menschen, sich selbst als Opfer darzustellen – auch wenn sie sich dessen vielleicht (noch) nicht bewusst sind. Am Ende adressiert ihr aber nicht nur Onkel, Cousine oder Schwager, sondern regt eure ganze Familie zum Nachdenken an.
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