Seit 2015 wird der Begriff „Flüchtlingswelle“ als Synonym für die große Anzahl der einreisenden geflüchteten Menschen in die Europäische Union und nach Deutschland verwendet. Dabei wird der Begriff quer durch alle Medien und Parteien und häufig auch in unserer Alltagssprache gebraucht. Er ist jedoch nicht unproblematisch.
Eine Metapher
Der Begriff „Flüchtlingswelle“ ist eine Metapher. Durch Metaphern werden Eigenschaften eines Wortes aus einem bestimmten Bedeutungsbereich auf einen anderen übertragen. In Bezug auf die „Flüchtlingswelle“ ist der ursprüngliche Bedeutungsbereich „Wasser“ bzw. die Bewegung von Wasser. Mit dem Begriff der „Welle“ assoziieren wir zum einen Wasser, das sich chaotisch und unkontrollierbar bewegt und auftürmt. Zum anderen ist eine Welle eine Naturgewalt, welche alles in ihrem Weg wegspült und so Zerstörung und Verwüstung hinterlässt.
Framing
Durch den Begriff der „Flüchtlingswelle“ werden die nach Europa kommenden Geflüchteten mit Gefahr und Bedrohung assoziiert. Diesen Vorgang nennt man Framing – dabei werden Konzepte und Ideen in einen bestimmten Deutungsrahmen eingebettet.
Oft geht es darum, ein Problem zu definieren (gestiegene Anzahl an Geflüchteten) und damit einhergehend direkt auch eine bestimmte Lösung hervorzuheben (Abschottung durch die Errichtung von Schutzwällen). Auf ganz ähnliche Art und Weise funktionieren auch andere Metaphern im Zusammenhang mit Geflüchteten. Diese kann man grob einteilen in:
- Wasser-Metaphern wie „Flüchtlingsstrom“ oder „Flüchtlingsflut“, welche das Bild von Wassermassen hervorrufen.
- Militär-Metaphern wie „Flüchtlingsansturm“, welche Geflüchtete nicht als Opfer von Krieg und Gewalt darstellen, sondern als jene, von denen gewaltsame Handlungen ausgehen und die Europa „angreifen.“
Was erzeugen die Metaphern?
Durch die Verwendung solcher Metaphern wird Geflüchteten zum einen ihre Individualität abgesprochen und sie werden zu einer anonymen Masse gemacht. Durch den Vergleich mit einer Naturgewalt werden sie zudem dehumanisiert. Zum anderen findet eine klare Abgrenzung zwischen „uns in Europa“ und „den Geflüchteten“ statt. Die Opferrolle wird umgekehrt – „Wir“ werden von „denen“ überrollt und angegriffen.
Sprache spiegelt unser Denken und damit unsere Wahrnehmung der Realität.
Lesen wir Metaphern wie „Flüchtlingswelle“ in den Medien oder verwenden wir sie sogar selbst, beeinflussen sie unbewusst unsere Sichtweise auf Geflüchtete. Sie führen zu einer starken Emotionalisierung der Thematik und bestärken Vorurteile in der Gesellschaft. Gleichzeitig haben diese Begriffe das Potential, politische Entscheidungen hin zu mehr Ausgrenzung und Abschottung zu beeinflussen. Diese Form der Sprache fördert keine Solidarität, sondern behindert sie.
Welche Begriffe sollten wir stattdessen benutzen?
Statt hoch emotionalisierte Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ oder „Flüchtlingsansturm“ zu verwenden, sollten wir versuchen, neutrale Formulierungen zu finden. Ein Beispiel hierfür sind Begriffe wie „Migration“ oder „Flucht- und Migrationsbewegungen.“ Diese spiegeln die Realität ohne eine emotionale Einordnung und sind dementsprechend nicht mit negativen Eigenschaften assoziiert.
Quellen:
Biazza, Jacob (2018): Wenn Menschen zur Naturkatastrophe werden. Süddeutsche Zeitung.
Biermann, Kai; Haase, Martin (2018): Das Wörterbuch der Verschleierung. Zeit Online.
Fischer, Carolin (2020): Die Flüchtlingsflut in unseren Köpfen: Metaphorisches Framing von Geflüchteten im deutschen Zeitungsdiskurs.
Melasznik, Marcelina (2018): Pejorative Metaphern im Flüchtlingsdiskurs.
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