Worüber wir sprechen sollten: Dass Seehofer die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen in Europa behindert

In den vergangenen Tagen ist eine interne E-Mail aus dem Innenministerium öffentlich geworden, die das Ministerium und den Minister Seehofer schwer belasten. Der Fall hängt mit den Skandalen um Frontex Direktor Fabrice Leggeri zusammen. Beide haben die Öffentlichkeit und die politischen Institutionen, denen gegenüber sie Rechenschaft ablegen müssen, getäuscht. Beide sind politisch und menschlich längst untragbar. Worum geht es genau?

Konkret geht es um illegale Pushbacks

Die verbotene, oftmals gewaltvolle und kollektive Zurückweisung von Asylsuchenden an den europäischen Grenzen ist ein Verbrechen. Diese werden von staatlichen Vertreter*innen wie der griechischen Küstenwache und EU-Behörden wie Frontex begangen. Pushbacks sind inzwischen umfassend dokumentiert, kommuniziert und sie fordern Opfer. Dennoch finden sie weiter statt.

Was hat Deutschland damit zu tun?

Am 10. August 2020 sichtete ein Boot der deutschen Bundespolizei als Teil eines Einsatzes von Frontex ein Schlauchboot mit 40 Personen, darunter auch Kinder, unweit der griechischen Insel Samos. Statt die Menschen direkt aus der Not zu retten, wartete die Bundespolizei auf die griechische Küstenwache. Anschließend beobachteten die Bundesbeamt*innen, wie die Geflüchteten im Boot der Küstenwache aufgenommen wurden. Dies hielten sie in einem Bericht fest. Die 40 Menschen aber wurden später am Abend auf See von der türkischen Küstenwache gerettet, das Boot der griechischen Küstenwache lief leer im Hafen von Samos ein. Die einzige Erklärung hierfür ist das illegale Zurückdrängen der Menschen in die Türkei.

Die Rechtslage ist klar: Die Menschen befanden sich in griechischem Gewässer und es stand ihnen zu, in Griechenland Asyl zu beantragen – eine Rückführung ohne Verfahren ist illegal. Die griechische Küstenwache argumentierte später, dass das Schlauchboot von alleine umgekehrt sei, was eindeutig den dokumentierten Beobachtungen der deutschen Beamt*innen widerspricht. 

Und Seehofer?

Die Bundespolizei untersteht dem Bundesinnenministerium und damit Horst Seehofer. Deutsche Polizist*innen waren nicht nur indirekt an einem Pushback beteiligt, das Ministerium wusste auch von den falschen Aussagen der griechischen Küstenwache. Es entschied sich jedoch dazu, die Lüge zu decken. Zudem geht aus einer internen Mail des Innenministeriums an den Verwaltungsrat von Frontex vom 1. April 2021 hervor, dass sich das Ministerium gegen die Etablierung einer Arbeitsgruppe zur Aufklärung der Menschenrechtsverstöße ausspricht. Damit deckt das Innenministerium Frontex und Leggeri auch weiterhin. Diese politische Verantwortungslosigkeit muss Konsequenzen haben.

Das Innenministerium und Innenminister Horst Seehofer wussten von diesem konkreten und vielen weiteren Vorfällen und handeln nicht. Mehr noch, sie berichten nicht darüber und setzen sich explizit gegen eine Untersuchung der Vorfälle ein. Frontex Direktor Leggeri verschleiert schon seit Monaten, was an den Außengrenzen passiert und verstrickt sich dabei zunehmend in Widersprüche.

Politiker*innen sind in der Verantwortung zu handeln. Ihr Nichtstun ist eine Mittäterschaft. Menschenrechtsverletzungen wie Pushbacks finden weiter statt, weil Politiker*innen und politische Institutionen sie dulden, wenn nicht sogar – wie im Fall des Innenministeriums – still befürworten. Das ist eine nicht hinzunehmende Situation, der wir uns als Öffentlichkeit entgegenstellen sollten.

Wir können handeln

Fassungslos bedeutet nicht sprachlos: Informiert euch zu Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen in Europa, informiert euch über die europäische Asylpolitik, informiert andere, diskutiert und teilt Informationen. Wir müssen endlich auch in der breiten Öffentlichkeit über die nicht hinnehmbaren Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen sprechen.

Quellen:
BMI (2021): Schengen: Eine zentrale Errungenschaft der Europäischen Union.
Christides et al (2020): Frontex Skandal. Seehofer deckte offenbar griechische Verbrechen.
Christides et al. (2021): Wie Seehofer die Aufklärung im Frontex-Skandal behindert.
Erik Marquard, Tweet vom 17.04.2021.
Zeit Online (2020): Bundespolizei half bei Pusbacks im Mittelmeet. 


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